1,7 Jerusalem denkt in dieser Zeit, da sie elend und verlassen ist, wie viel Gutes sie von alters her gehabt hat, wie aber all ihr Volk daniedersank unter des Feindes Hand und ihr niemand half. Ihre Feinde sehen auf sie herab und spotten über ihren Untergang. 1,8 Jerusalem hat sich versündigt; darum muß sie sein wie ein unreines Weib. Alle, die sie ehrten, verschmähen sie jetzt, weil sie (a) ihre Blöße sehen; sie aber seufzt und hat sich abgewendet. 1,9 Ihr Unflat klebt an ihrem Saum. Sie hätte nicht gemeint, daß es ihr zuletzt so gehen würde. Sie ist ja greulich heruntergestoßen und hat dazu niemand, der sie tröstet. «Ach HERR, sieh an mein Elend; denn der Feind triumphiert!» 1,10 Der Feind (a) hat seine Hand gelegt an alle ihre Kleinode. Ja, sie mußte zusehen, daß (b) die Heiden in ihr Heiligtum gingen, während du geboten hast, sie sollten nicht in deine Gemeinde kommen. 1,11 Alles Volk seufzt und geht nach Brot, es gibt seine Kleinode um Speise, um sein Leben zu erhalten. «Ach HERR, sieh doch und schau, wie verachtet ich bin!»
1,12 Euch allen, die ihr vorübergeht, sage ich: «Schaut doch und seht, ob irgendein Schmerz ist wie mein Schmerz, der mich getroffen hat; denn der HERR hat Jammer über mich gebracht am Tage seines grimmigen Zorns. 1,13 Er hat ein Feuer aus der Höhe in meine Gebeine gesandt und läßt es wüten. Er hat meinen Füßen ein Netz gestellt und mich rückwärts fallen lassen; er hat mich zur Wüste gemacht, daß ich für immer siech bin. 1,14 Schwer ist das Joch meiner Sünden; durch seine Hand sind sie zusammengeknüpft. Sie sind mir auf den Hals gekommen, so daß mir alle meine Kraft vergangen ist. Der Herr hat mich in die Gewalt derer gegeben, gegen die ich nicht aufkommen kann. 1,15 Der Herr hat zertreten alle meine Starken, die ich hatte; er hat gegen mich ein Fest ausrufen lassen, um meine junge Mannschaft zu verderben. (a) Der Herr hat die Kelter getreten der Jungfrau, der Tochter Juda. 1,16 Darüber weine ich so, und mein Auge fließt von Tränen; denn der Tröster, der meine Seele erquicken sollte, ist ferne von mir. Meine Kinder sind dahin; denn der Feind hat die Oberhand gewonnen.»
1,17 Zion streckt ihre Hände aus, und doch ist niemand da, der sie tröstet; denn der HERR hat gegen Jakob seine Feinde ringsum aufgeboten, so daß Jerusalem zwischen ihnen sein muß (a) wie ein unreines Weib.
1,18 Der HERR ist gerecht, denn (a) (b) ich bin seinem Worte ungehorsam gewesen. Höret, alle Völker, und schaut meinen Schmerz! Meine Jungfrauen und Jünglinge sind in die Gefangenschaft gegangen. 1,19 Ich rief meine Freunde, aber sie ließen mich im Stich. Meine Priester und meine Ältesten sind in der Stadt verschmachtet, sie gehen nach Brot, um ihr Leben zu erhalten. 1,20 Ach HERR, sieh doch, wie bange ist mir, daß mir's im Leibe davon weh tut! Mir dreht sich das Herz im Leibe um, weil ich so ungehorsam gewesen bin. Draußen hat mich das Schwert und im Hause hat mich der Tod meiner Kinder beraubt. 1,21 Man hört's wohl, daß ich seufze, und doch habe ich keinen Tröster; alle meine Feinde hören mein Unglück und (a) freuen sich, daß du es gemacht hast. So laß doch den Tag kommen, den du verkündet hast, daß es ihnen gehen soll wie mir. 1,22 Laß alle ihre Bosheit vor dich kommen und richte sie zu, wie du mich zugerichtet hast um aller meiner Missetat willen; denn meiner Seufzer sind viel, und mein Herz ist betrübt.
2,11 Ich habe mir fast die Augen ausgeweint, mein Leib tut mir weh, mein Herz ist auf die Erde ausgeschüttet über dem Jammer der Tochter meines Volks, weil die Säuglinge und Unmündigen auf den Gassen in der Stadt verschmachten. 2,12 Zu ihren Müttern sprechen sie: Wo ist Brot und Wein?, da sie auf den Gassen in der Stadt verschmachten wie die tödlich Verwundeten und in den Armen ihrer Mütter den Geist aufgeben.
2,13 Ach du Tochter Jerusalem, wem soll ich dich vergleichen, und wie soll ich dir zureden? Du Jungfrau, Tochter Zion, wem soll ich dich vergleichen, damit ich dich tröste? Denn dein Schaden ist groß wie das Meer. Wer kann dich heilen? 2,14 Deine Propheten haben dir trügerische und törichte Gesichte verkündet und dir deine Schuld nicht offenbart, wodurch sie dein Geschick abgewandt hätten, sondern sie haben dich Worte hören lassen, die Trug waren und dich verführten. (a) (b) 2,15 Alle, die vorübergehen, klatschen in die Hände, pfeifen und schütteln den Kopf über die Tochter Jerusalem: (a) (b) Ist das die Stadt, von der man sagte, sie sei die allerschönste, an der sich alles Land freut? 2,16 Alle deine Feinde reißen ihr Maul auf über dich, pfeifen und knirschen mit den Zähnen und sprechen: «Ha! wir haben sie vertilgt! Das ist der Tag, den wir begehrt haben; wir haben's erlangt, wir haben's erlebt.» 2,17 Der HERR hat getan, was er vorhatte; er hat sein Wort erfüllt, das er längst zuvor geboten hat. Er hat ohne Erbarmen zerstört, er hat den Feind über dich frohlocken lassen und hat die Macht deiner Widersacher erhöht.
2,18 Schreie laut zum Herrn, klage, du Tochter Zion, laß Tag und Nacht Tränen herabfließen wie einen Bach; höre nicht auf damit, und dein Augapfel lasse nicht ab! 2,19 Steh des Nachts auf und schreie zu Beginn jeder Nachtwache, schütte dein Herz aus vor dem Herrn wie Wasser. Hebe deine Hände zu ihm auf um des Lebens deiner jungen Kinder willen, die vor Hunger verschmachten an allen Straßenecken!
2,20 HERR, schaue und sieh doch, wen du so verderbt hast! Sollen denn die Frauen (a) (b) ihres Leibes Frucht essen, die Kindlein, die man auf Händen trägt? Sollen denn Propheten und Priester in dem Heiligtum des Herrn erschlagen werden? 2,21 Es lagen in den Gassen auf der Erde Knaben und Alte; meine Jungfrauen und Jünglinge sind durchs Schwert gefallen. Du hast getötet am Tage deines Zorns, du hast ohne Erbarmen geschlachtet. 2,22 Du hast von allen Seiten her meine Feinde gerufen wie zu einem Feiertag, so daß niemand am Tage des Zorns des HERRN entronnen und übriggeblieben ist. Die ich auf den Händen getragen und großgezogen habe, die hat der Feind umgebracht.
3,20 Du wirst ja daran gedenken, denn meine Seele sagt mir's. 3,21 Dies nehme ich zu Herzen, darum hoffe ich noch: 3,22 Die Güte des HERRN ist's, daß wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, (a) 3,23 sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß. 3,24 Der HERR (a) (b) ist mein Teil, spricht meine Seele; darum will ich auf ihn hoffen. 3,25 Denn der HERR ist freundlich dem, der auf ihn harrt, und dem Menschen, der nach ihm fragt. 3,26 Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und (a) auf die Hilfe des HERRN hoffen. 3,27 Es ist ein köstlich Ding für einen Mann, daß er das Joch in seiner Jugend trage. 3,28 Er sitze einsam und schweige, wenn Gott es ihm auferlegt, 3,29 und stecke seinen Mund in den Staub; vielleicht ist noch Hoffnung. 3,30 Er (a) biete die Backe dar dem, der ihn schlägt, und lasse sich viel Schmach antun. 3,31 (a) Denn der HERR verstößt nicht ewig; 3,32 sondern er betrübt wohl und erbarmt sich wieder nach seiner großen Güte. 3,33 Denn nicht von Herzen plagt und betrübt er die Menschen.
3,34 Wenn man alle Gefangenen auf Erden unter die Füße tritt 3,35 und eines Mannes Recht vor dem Allerhöchsten beugt 3,36 und eines Menschen Sache verdreht, - sollte das der Herr nicht sehen? 3,37 Wer darf denn sagen, daß solches geschieht ohne des Herrn Befehla 3,38 und daß nicht Böses und Gutes kommt aus dem Munde des Allerhöchsten? 3,39 Was murren denn die Leute im Leben? Ein jeder murre wider seine Sünde! 3,40 Laßt uns erforschen und prüfen unsern Wandel und uns zum HERRN bekehren! 3,41 Laßt uns unser Herz samt den Händen aufheben zu Gott im Himmel! 3,42 Wir, (a) wir haben gesündigt und sind ungehorsam gewesen, darum hast du nicht vergeben. 3,43 Du hast dich in Zorn gehüllt und uns verfolgt und ohne Erbarmen getötet. 3,44 Du hast dich mit einer Wolke verdeckt, daß kein Gebet hindurch konnte. 3,45 Du hast uns zu Kehricht und Unrat gemacht unter den Völkern. 3,46 Alle unsere Feinde reißen ihr Maul auf über uns. 3,47 Wir werden gedrückt und geplagt mit Schrecken und Angst.
3,48 Wasserbäche rinnen aus meinen Augen über den Jammer der Tochter meines Volks. 3,49 Meine Augen fließen und können's nicht lassen, und es ist kein Aufhören da, 3,50 bis der HERR vom Himmel herabschaut und darein sieht. (a) 3,51 Mein Auge macht mir Schmerzen wegen all der Töchter meiner Stadt.
3,52 Meine Feinde haben mich ohne Grund gejagt wie einen Vogel. 3,53 Sie haben mein Leben in der Grube zunichte gemacht und Steine auf mich geworfen. 3,54 Wasser hat mein Haupt überschwemmt; da sprach ich: Nun bin ich verloren. 3,55 Ich rief aber deinen Namen an, HERR, unten aus der Grube, 3,56 und du erhörtest meine Stimme: «Verbirg deine Ohren nicht vor meinem Seufzen und Schreien!» 3,57 Du nahtest dich zu mir, als ich dich anrief, und sprachst: Fürchte dich nicht! 3,58 Du führst, Herr, meine Sache und erlösest mein Leben. 3,59 Du siehst, HERR, wie mir Unrecht geschieht; hilf mir zu meinem Recht! 3,60 Du siehst, wie sie Rache üben wollen, und kennst alle ihre Gedanken gegen mich. 3,61 HERR, du hörst ihr Schmähen und alle ihre Anschläge gegen mich, 3,62 die Reden meiner Widersacher und ihr Geschwätz über mich den ganzen Tag. 3,63 Sieh doch: ob sie sitzen oder aufstehen, singen sie über mich (a) Spottlieder. 3,64 Vergilt ihnen, HERR, wie sie verdient haben!a 3,65 Laß ihnen das Herz verstockt werden, laß sie deinen Fluch fühlen! 3,66 Verfolge sie mit Grimm und vertilge sie unter dem Himmel des HERRN.
4,7 Zions Fürsten waren reiner als der Schnee und weißer als Milch; ihr Leib war rötlicher als Korallen, ihr Aussehen war wie Saphir. 4,8 Nun aber ist ihre Gestalt so dunkel vor Schwärze, daß man sie auf den Gassen nicht erkennt; ihre Haut hängt an den Knochen, und sie sind so dürr wie ein Holzscheit. 4,9 Den durchs Schwert Erschlagenen ging es besser als denen, die vor Hunger starben, die verschmachteten und umkamen aus Mangel an Früchten des Ackers. 4,10 Es haben die barmherzigsten Frauen (a) ihre Kinder selbst kochen müssen, damit sie zu essen hatten in dem Jammer der Tochter meines Volks. 4,11 Der HERR hat seinen Grimm austoben lassen, er hat seinen grimmigen Zorn ausgeschüttet; er hat in Zion ein Feuer angesteckt, das auch ihre Grundfesten verzehrt hat.
4,12 Es hätten's die Könige auf Erden nicht geglaubt noch alle Leute in der Welt, daß der Widersacher und Feind zum Tor Jerusalems einziehen könnte. 4,13 Es ist aber geschehen wegen der Sünden ihrer Propheten und wegen der Missetaten ihrer Priester, die dort der Gerechten Blut vergossen haben. 4,14 Sie irrten hin und her auf den Gassen wie die Blinden und waren mit Blut besudelt, daß man ihre Kleider nicht anrühren konnte; 4,15 man rief ihnen zu: (a) «Weicht, ihr Unreinen! Weicht, weicht, rührt nichts an!» Wenn sie flohen und umherirrten, so sagte man auch unter den Heiden: «Sie sollen nicht länger bei uns bleiben.» 4,16 Des HERRN Zorn hat sie zerstreut; er will sie nicht mehr ansehen. Die (a) Priester ehrte man nicht, und (b) (c) an den Alten übte man keine Barmherzigkeit.
4,17 Noch immer blickten unsre Augen aus nach nichtiger Hilfe, bis sie müde wurden; und wir warteten auf ein Volk, das uns doch nicht helfen konnte. 4,18 Man jagte uns, daß wir auf unsern Gassen nicht gehen konnten. Da kam unser Ende; unsere Tage sind aus, unser Ende ist gekommen. 4,19 Unsre Verfolger waren schneller als die Adler unter dem Himmel. Auf den Bergen haben sie uns verfolgt und in der Wüste auf uns gelauert. 4,20 Der Gesalbte des HERRN, der unser Lebensodem war, ist gefangen worden in ihren Gruben; wir aber dachten: «In seinem Schatten wollen wir leben unter den Völkern.» 4,21 Ja, freue dich nur und sei fröhlich, du Tochter Edom, die du wohnest im Lande Uz! Denn (a) (b) (c) der Kelch wird auch zu dir kommen, daß du trunken wirst und dich entblößest. 4,22 (a) Deine Schuld ist abgetan, du Tochter Zion; der Herr wird dich nicht mehr wegführen lassen. (b) (c) Aber deine Schuld, du Tochter Edom, wird er heimsuchen und deine Sünden aufdecken.
5,19 Aber du, HERR, der du ewiglich bleibest und dein Thron von Geschlecht zu Geschlecht, 5,20 warum willst du uns so ganz vergessen und uns lebenslang so ganz verlassen? 5,21 (a) Bringe uns, HERR, zu dir zurück, daß wir wieder heimkommen; erneure unsre Tage wie vor alters! 5,22 Hast du uns denn ganz verworfen, und bist du allzusehr über uns erzürnt?